Folgst Du auch schon dem „Holistic myofascial oscillation Master“? oder Warum Du mit Experten im Internet vorsichtig sein solltest

Instagram, TikTok, Facebook, YouTube. Wir sind „umzingelt“ von Experten und Coaches in der medialen Welt. Jeder weiß etwas, jeder kann etwas. Einmal nach einem Thema gesucht, präsentiert uns die künstliche Intelligenz hinter den sozialen Medien immer mehr ähnliche Videos passend zu unserem Suchbegriff.
Folgst Du auch einem der „Spezialisten“? Hast Du Vertrauen gefasst in eine Person und machst deren Übungen oder folgst deren Tipps? Ich muss sagen, ich schaue ab und an mal rein und vergleiche und bewerte, natürlich mit dem Wissen, was ich mir angeeignet habe und bilde mir dann meine Meinung.

Vielmehr habe ich vergangenes Wochenende mit zwei meiner Kolleginnen der Physiotherapiepraxis Alexander Franz eine Auffrischung über „Geräte gestütztes Training in der Physiotherapie“ absolviert, damit wir den aktuellen wissenschaftlichen Stand über den Nutzen und die Wirkungsformen erfahren. In „Echt“ und nicht durch ein 30 Sekunden Video. 

Es wurde einmal mehr klar: 
Die unzähligen „Experten“ in den sozialen Medien, die ein „Mache diese Übung bei ….“ oder ein „Mache das NICHT…“ Video verbreiten, erzeugen meiner Meinung nach wenig Nutzen, aber viel Aufmerksamkeit für sich selbst mit eher unspezifischen Aussagen. Aber genau das soll es ja. Werbung machen. Nicht unbedingt Mehrwert für den Zuschauer. 

Nach wie vor hat eine fundierte Untersuchung inklusive Testung eine Notwendigkeit, wenn ein gezielter Therapieplan erstellt und durchgeführt werden soll. Daher ist eine Universalübung für ALLE mit unterschiedlichen Ursachen ihrer Beschwerden völlig sinnfrei und eher vergleichbar mit dem „Reha-Sport“ Ansatz der Krankenkassen. Ein Universalprogramm nach dem Gießkannenprinzip. Die allgemeine Konstitution wird trainiert, was schon mal gut ist, aber spezifische Beschwerden benötigen einen spezifischen Therapieansatz. 


Wenn Du also Beschwerden hast, sind grundsätzlich zwei Szenarien zu unterscheiden:

1. Du hast die Wundheilungsphasen nach einer Verletzung oder einer Operation zu befolgen, um eine frühzeitige Überlastung einer heilenden Struktur und demnach eine erneute Entzündung zu vermeiden. Andernfalls verzögert sich die Heilung deutlich.

2. Du hast unspezifische Schmerzen, d.h. keine Verletzung ist bekannt. Eventuell hast Du ein MRT Bild machen lassen, was in den meisten Fällen eher auf die falsche Fährte führt (siehe meinen früheren Newsletter über bildgebende Verfahren). 
Hier gibt es keine Wundheilungsphasen zu beachten, jedoch das systematische Vorgehen der Trainingswissenschaft, um Gewebe mit den passenden Reizen zur Veränderung anzuregen, was so gut wie immer zu einer Verbesserung der Beschwerden führt. Seltene Ausnahmen gibt es immer, aber dafür ist ja auch die Eingangstestung und die engmaschige Betreuung durch TherapeutInnen sinnvoll. 


Kurz gesagt ergibt sich folgende Vorgehensweise im Fall Nr. 1: 

Nach einer OP oder einer Verletzung gibt es einander aufbauende Wundheilungsphasen.

1. Die Entzündungsphase (4-7 Tage): Sie kennzeichnet sich u.a. durch Schmerzen, Schwellung, Erwärmung, keine oder eingeschränkte Funktion
Therapie: kein Krafttraining, aber leichtes Mobilisieren und auf jeden Fall abschwellende Maßnahmen!

 2. In der Proliferationsphase (Neubildungsphase) beginnt der Körper, neues Bindegewebe/Narbengewebe zu bauen, das eingestürzte Haus bekommt also neue Ständerwände, bleibt jedoch noch recht fragil. Und hier beginnt schon die spezifische Behandlung: Je nach Gewebe geht so etwas unterschiedlich schnell. Der Muskel benötigt 3 Wochen nach einem Muskelfaserriss, der Knochen ca. 6 Wochen nach einer Fraktur, der Knorpel ca. 12 Wochen. Die verletzte Struktur muss also präzise diagnostiziert werden, um keine nachteiligen Reize zu setzen.

3. Die Remodellierungsphase schließt sich an und dauert natürlich wieder abhängig vom betroffenen Gewebe 6-12 Monate. Eine komplette Ausheilung nach einem größeren Eingriff (Gelenkersatz, Wirbelsäulen-OP, o.ä.) kann also 300-500 Tage dauern! Hier werden den Ständerwänden die Dämmung, Verkabelung, Beplankung oder auch Mauersteine und Putz zugeführt, sodass sie wieder solide, stabil und funktionell sind. 

Hattest Du schon einmal einen größeren Eingriff? Wann hast Du mit der Therapie / Reha / Physiotherapie aufgehört? Wahrscheinlich vor den 300 bis 500 Tagen. 
Dies mag mehrere Gründe haben: 

– Unkenntnis (deshalb habe ich begonnen, Newsletter und Blog-Beiträge zu schreiben)

– Kostenersparnis seitens der Kostenträger. „Nach x Rezepten ist Schluss. Dann müssen Sie selbst klarkommen.“

– fehlender langer Atem seitens des Patienten / Therapiemüdigkeit / der Alltag hat mich komplett wieder. 


Meist tritt dann verzögert der oben genannte Fall Nr. 2 ein: 

Viele Jahre später kommen dann unspezifische andere Beschwerden an einem anderen Körperteil. Und daran wird dann herum therapiert. Mit mäßigem Erfolg. Die Beschwerden bessern sich, kommen dann aber wieder. 

Kennst Du vielleicht auch. 
 
Dass ein Zusammenhang zwischen einer früheren Verletzung und den jetzigen Beschwerden besteht, erkennen erfahrene und geschulte TherapeutInnen. 
Aber nicht der Super-Instagram Coach mit seiner Wunderübung. 

Und ich möchte hier keine Angst erzeugen, wie das auch einige Internet-Experten gerne tun, um Bekanntheit und Abhängigkeit zu erzeugen. 
Ich schreibe vom Ursachen-Wirkungs-Prinzip unseres Körpers, der eine unfassbare Fähigkeit der Kompensation während unseres Daseins hat. Und stabiler unser Körper über die Jahre durch Training und guten Lebensstil geworden ist, desto länger kann er kompensieren. Je früher und länger wir nicht auf uns aufpassen und uns auslaugen für andere Ziele im Leben, desto eher können andere Beschwerden auftreten, da unsere Kompensationsfähigkeit gelitten hat. 

Ein Ziel für uns alle sollte deshalb sein: 
Hinterfrage Deinen Lebensstil und Deine Belastungs- und Erholungsphasen in Deinem Leben. Gibt es hier eine Schieflage? Wer genau kann mir das überhaupt sagen? 
Dafür gibt es ebenfalls geschulte Therapeuten, aber Profi bist Du selbst! Niemand kennt Deinen Körper so wie Du. Du solltest nur seine Signale erkennen können und auch auf sie hören. 

Was ich Dir mitgeben möchte: 
Beginne mit Training, wenn Du es nicht schon tust. Laufen, wandern, schwimmen, aber allem voran Krafttraining! Unsere Muskeln sind Wunderwerke und halten uns gesund, mit all den Stoffen, die sie während ihrer Arbeit für uns produzieren. 

Und somit folgt das Schlusswort und der Kreisschluss zu meinen Anfangsworten: 
Lass Dir nicht Deine Lebenszeit von Instagram & Co und seinen Experten klauen, die Dir die angesagteste Übung andrehen wollen. Die effektivsten Übungen sind schon richtig alt, meist richtig langweilig, aber dafür richtig wirksam! 



Viele Grüße und achte auf Deinen Akku! Immer wieder aufladen und pflegen. Dann hältst Du eine lange Reise mit wenig Beschwerden durch. 
Bleibe geschmeidig, Dein Alex

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