„Mach diese Übung und deine Schmerzen sind weg!“

oder so ähnlich……

Ich gebe zu, auch ich bin in den sozialen Medien unterwegs, auch wenn ich genau weiß, was ich meinem Gehirn und meiner inneren Beschaffenheit damit antue. 

Ich gebe mir feste Grenzen von x Minuten und höre dann auf. Und wenn ich so auf meinem Handy wische, dann aus Neugier, was „Gesundheitsexperten“ so alles erzählen. Und es ist mir schon oft passiert, dass ich mich beim wischen verliere und mein Gehirn unnötig gestresst wurde. Dann war ich sauer über mich selbst. Ist auch blöd. Aber auch jetzt schweife ich schon wieder ab. Zurück zum Fokus: 

So vieles hört sich so plausibel an, so viele Übungen so logisch. Schade nur, dass so viele Übungen so anspruchsvoll sind, dass Menschen mit Beschwerden diese niemals durchführen können, ohne sich noch mehr Schmerzen zuzufügen. 

Zack. Gleich wieder das nächste Thema. Müssen Übungen schmerzen? Oder ist das streng verboten? Wie sollen Schmerz geplagte Menschen Übungen ohne Schmerzen durchführen können? 

Woran soll ich mich denn orientieren? 

Es ist DAS Thema in der heutigen Informationsflut.
Jeder weiß etwas, wir sind überfordert, Fake-News von echten/wahren Informationen zu unterscheiden. Und was ist denn überhaupt die Wahrheit? 

Zack. Nächstes Thema: Die Überlastung unseres Gehirns durch permanente Reizüberflutung und vor allem durch sich widersprechende Botschaften. Heute ist das wahr, gestern hieß es aber noch so, und so weiter und so fort. Die großen Ereignisse der letzten Jahre, Monate und Wochen folgten diesem Muster der Widersprüchlichkeiten und Kehrtwenden der Aussagen und das nagt an unserer Gehirngesundheit. Wäre wieder ein Thema für einen Newsletter, wieso das so ist, aber heute soll es um die Aussagen der Gurus gehen, die uns Übungen X und Y für genau das Problem A erklären. 

Wenn wir Metastudien lesen (das sind Zusammenfassungen der Erkenntnisse vieler Einzelstudien, haben also eine viel höhere Aussagekraft als die Erkenntnis einer einzelnen Studie), dann sagt die Wissenschaft ganz klar: 

Es gibt nicht DIE beste Übung für ein Problem, aber es gibt Tendenzen, welche Übungen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit bei einer spezifischen Diagnose die Genesung unterstützen können. 

Viele Relativierungen also. 

Zunächst einmal müssen wir unterscheiden, ob wir von einer tatsächlichen Verletzung sprechen oder von diffusen Schmerzen ohne klar definierbare Ursache.

Bei ersterer Situation ist es tatsächlich einfacher, da es mittlerweile so viel Erfahrungswerte gibt, welche Therapieprozesse die Heilung des verletzten Gewebes am besten unterstützen.

Prima.

Wenn ich nun aber seit langem, vielleicht schon seit Jahren, Schmerzen habe und so viele Ärzte nichts entdeckt haben, dann macht das mürbe und lässt uns an uns selbst zweifeln. Wenn dann noch ein MRT-Bild erstellt wird und wir eine Veränderung im Körper sehen, ist leider sehr schnell die angebliche Ursache gefunden. Inklusive OP-Anordnung und Durchführung und nicht selten sind die Beschwerden danach weiterhin vorhanden.

Weil auch hier die Wissenschaftsstatistik mittlerweile weiß, dass über 90% aller Menschen auf MRT Bildern sichtbare Veränderungen ihres Knochen- und Gelenksystems haben, aber weniger als 10 % dieser Menschen über Schmerzen klagen.

Wo kommen also die Schmerzen dieser 10% her, bzw. warum haben die anderen 80% keine Schmerzen? 

Und wie soll die super Übung XY vom Meister Z auf Youtube genau bei mir helfen?  

Entspannen! 

Zurück lehnen! 

Die Lösung liegt in einer einfachen Gesetzmäßigkeit, die mir damals in meinem Sportwissenschaftsstudium Professor Dr. Ulmer an der Universität Mainz im ersten Semester beigebracht hat und die aktueller denn je ist. 

Und diese Gesetzmäßigkeit ist so logisch und simpel und auf so viele Lebensbereiche übertragbar. 

Wir sind Menschen, bestehend aus dem „fleischigen Körper“ und dem Geist/der Psyche und je nach philosophischem Ansatz auch aus der Seele.

Und jeder Anteil hat eine gewisse Belastbarkeit. Knochen, Knorpel, Muskeln haben eine bestimmte Belastbarkeit. 

Unser Gehirn hat eine bestimmte Belastbarkeit. 

Unsere Psyche ebenso. 

Nun leben wir in einem offenen System, das sich „Leben auf dem Planeten Erde“ nennt. Und da passiert ganz schön viel jeden Tag. 

Täglich strömen unfassbar viele Reize (Belastungsreize) auf uns ein. 

Und das ist es schon!

Es geht um das Verhältnis zwischen unserer momentanen Belastbarkeit und der Belastungen, die von außen auf uns einwirken. 

Sind sie zu gering, verkümmern wir und langweilen uns. 

Sind sie in einer fordernden Dosis, wachsen wir sprichwörtlich an unseren Aufgaben (Belastungen). 

Sind sie zu hoch, überlasten wir uns und erhalten die entsprechenden Warnsignale unseres Körpers. 

Bevor das hier ausartet, weil ich zu jedem Teil der Überlastungsmöglichkeiten gerne etwas schreiben würde (so sehr juckt es mir in den Fingern), versuche ich die Kurve schnell zu bekommen: 

Es gibt nicht die beste Übung, sondern nur die beste Dosierung! 

Es gibt folglich auch keine falsche Übung und auch keine falsche Übungsausführung (wie uns auch immer wieder gerne von Therapeut:innen und Trainer:innen und Biomechaniker:innen erzählt wird).

Es gibt aber Übungsausführungen, die unseren Körper mehr oder weniger belasten und uns deshalb gut oder schlecht tun im Sinne eines guten Trainingsreizes oder eines viel zu hohen, überlastenden Reizes. 

Gerade ein „Spezialist“, bei dem ich selbst eine Ausbildung gemacht habe, hat in einem jüngeren Interview „den Sport“ als gefährlich bezeichnet. Herr Liebscher nennt dabei Diagnosen wie „Tennisellenbogen“, „Golferarm“ oder „Läuferschienbein“ und begründet damit seine mahnende Aussage über „Sport“ im Allgemeinen. 

Herr Liebscher hat das Prinzip zwischen Belastung und Belastbarkeit von Professor Dr. Ulmer nicht im Blick! 

Seine aufgezählten Diagnosen sind alles Überlastungssyndrome, die auftreten, wenn ich eine Bewegung in ihrer Intensität derart übertreibe, dass sie mein Körper nicht verkraftet und mir mit Schmerz meine geistige Zurechnungsfähigkeit (was machst du gerade mit mir? Geht´s noch? ) infrage stellen möchte. 

Deshalb sind Tennis, Golf und Laufen nicht per se „böse“. 

Im Gegenteil.

Durch Belastung wird unserer Körper robuster und lernt, mehr und mehr auszuhalten. Das ist das Prinzip von Training. Unser Knorpel wird dicker, unser Knochen dichter, unser Muskel stärker, unser Geist stressresistenter und kann länger ausgeglichen und ruhig bleiben. 

Ich denke, du hast verstanden, was ich meine. Ist an sich ja nicht so schwer. 

Wenn du also wieder von einer Mega-Übung hörst oder siehst, darfst du gerne für dich ausprobieren, ob die Dosis der Übung für dich die passende ist. 

Denn: Nicht nur die Anzahl der Wiederholungen entscheidet über gut oder schlecht, sondern tatsächlich, wie sehr dich die Übung biomechanisch belastet und evtl. etwas abgeändert werden muss, um diese überlastende Übung in eine sehr gute und passende Übung für dich zu verwandeln.  

Dies simple Prinzip aus meinem ersten Sportsemester von Professor Dr. Ulmer wird in der modernen Physiotherapie immer mehr zur Essenz der Behandlungsinhalte.

Die Physiotherapie bewegt sich weg von Spezialisierungen in Behandlungstechniken, die uns seit Jahrzehnten als heilsbringend vermittelt wurden und für die auch ich seeeehr viele Euros in Fortbildungen „versenkt“ habe, weil ich dachte und mir erzählt wurde, dass ich dadurch meinen Patienten noch besser helfen kann. 

Die Art und Weise meiner Behandlungen wird sich fortan nicht nur deshalb weiter ändern, sondern auch, weil es noch andere, neue Aspekte im Therapeut-Patient-Kontext gibt, die Einfluss auf das langfristige Schmerzempfinden haben. Aber auch das ist ein Thema für sich und einen separaten Newsletter wert.

Als Gesamtkonzept ist dies definitiv ein plausibler Weg, um Menschen mit chronischen Schmerzen zu begleiten, den ich bereits in einem längerfristigen Zeitfenster anbiete, da in einer Behandlungsserie von z.B. 6x Manuelle Therapie ein chronisch existierender Schmerz im Normalfall niemals gestoppt, sondern nur kurzfristig gelindert werden kann. Womit wir wieder an den Grenzen unseres Gesundheitssystems angekommen sind. Deshalb sind längere Betreuungsphasen die Option für langfristige Schmerzregulation, da es um eine tiefgreifende Anpassung unseres Körpers geht.

Stichwort „Entwicklung einer ausbalancierten Achse von Belastung und Belastbarkeit“   

Ich werde in Zukunft noch mehr schreiben und informieren, denn Wissen zu haben ist Macht, und wer mehr weiß, lässt sich weniger „weismachen“. Das beruhigt innerlich und schafft Vertrauen in den eigenen Körper und Geist und Seele. 

Und es gibt genug „Experten“ da draußen, die Angst vermitteln und damit Profit machen wollen. Und wer Angst hat, lässt sich nun einmal leichter manipulieren. Diese Richtung sollte keine Gesellschaft einschlagen. 

Viele Grüße, bleibt geschmeidig und trainiert eure Muskeln!

Bis zum nächsten Beitrag,

Alexander 

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