Ich habe gehört, dass bei Arthrose Barfußschuhe helfen sollen. Stimmt das?

Das obige Thema kam kürzlich in einem Gespräch in meinem Kurs auf und ich dachte, ich schreibe spontan etwas dazu. 
Warum soll ich denn Barfußschuhe tragen und was ist dran an diesem Trend?


Im Sommer haben wir ja die Möglichkeit, viel barfuß zu gehen, aber der Sommer neigt sich dem Ende zu und was dann?

Der Sinn des Barfußlaufens
Vorneweg: Natürlich ist barfuß laufen eine gute Idee, weil sich unsere Füße und der gesamte Körper über Millionen Jahre an den Bewegungsablauf des Gehens angepasst hat. Ich nenne es explizit gehen und nicht laufen. Letzteres beinhaltet streng genommen eine Flugphase und meint eher das Joggen. 

Wir entstammen einer Zeit ohne Straßen und plane Oberflächen und unser Fuß hat sich bestens auf Steppe und Wiese und Co. angepasst. Nur sind unsere Vorfahren auf diesen Untergründen in einer anderen Gangart unterwegs gewesen. 
Es war ein flächiger Fußaufsatz, kein Erstkontakt über die Ferse, wie wir uns heute den Schritt angewöhnt haben. 
Du spürst es sicher, wenn Du über eine Wiese gehst. Du läufst sanft, fast schon leise und anschleichend, weil ein Fersenaufsatz auch unangenehm wäre. Und das, obwohl unsere Fersen ordentlich mit Fett gepolstert sind. 

Die erste wichtige Erkenntnis heute: 

Wenn Du einen Barfußschuh tragen möchtest, wirst, bzw. musst Du Deinen Gang ändern. Und das ist auch gut so. Mache kleinere Schritte nach vorne, setze Deinen Fuß flächiger, direkt lotrecht unter Deinem Hüftgelenk auf und sorge dann mit einem kräftigen Abdruck nach hinten für das Voranschreiten. So kräftigst Du Deinen Rücken und Dein Gesäß, welches unter ungünstigen Umständen viele Stunden am Tag ungenutzt herumsitzen muss.

Die zweite wichtige Erkenntnis: 
Das passiert mit unseren herkömmlichen Schuhen: 

Diese sind sehr verschieden. Mehr oder weniger feste Sohle, mal mit, mal ohne Fußbett, das Profil darunter mal weicher, mal mit Zwischensohle, mal ohne, mal vorne enger, mal etwas breiter geschnitten. 
Diese Schuhe verlocken uns, mit der Ferse den Erstkontakt zum Boden zu unternehmen. Der Fuß wird dabei deutlich VOR einem lotrecht gedachten Punkt unter dem Hüftgelenk aufgesetzt. Der Effekt: Es erfolgt erst einmal eine Stauchung, als würden wir einen Stock vor uns in den Boden rammen. Und das bremst uns. Also eigentlich eher Energieverschwendung. Dazu gibt der stauchende Fersenaufsatz die Energie in den Körper zurück bis in Hüften und Rücken. An sich auch o.k., denn Knorpel braucht Druck, um kräftig zu bleiben. Biomechanisch aber nicht effizient, da unnötig Energie umgelenkt werden muss. Wir erkennen diesen Gang bei Menschen, die sehr „strikt“ und „voller Haltung“ und „getrieben“ laufen. Um so „preußisch“ und dann doch irgendwie schonend zu gehen, wurden Schuhmodelle mit abgerundeten Sohlen an der Ferse auf den Markt gebracht. Unter anderem bei Nordic Walking Modellen. Die Schuhindustrie tut einfach sehr viel, um uns zum Konsum zu bewegen. 

Die dritte Erkenntnis: 
Das passiert bei Barfußschuhen:

Die Sohle ist sehr dünn und extrem flexibel. Und der Vorfuß sollte sehr breit geschnitten sein. Nur dann ist es ein Barfußschuh, der diesen Namen auch verdient. Alle anderen schwimmen auf der Welle mit und verkaufen Kompromisse. Denn ein Fuß braucht viel Platz um die Zehen herum. Ich kenne nur eine Firma, die Sportschuhe produziert, die vorne breiter sind als hinten. Alle namhaften Firmen engen die Zehen ein. 
Aber ich schweife ab…
Die dünne Sohle erzeugt keine Dämpfung. Was bewirkt das? Wir müssen selbst den Schritt dämpfen, indem wir Knie und Hüften (und auch die Wirbelsäule) als Stoßdämpfer nutzen und beim Fußaufsatz etwas in diesen Gelenken nachgeben. Das erzeugt ein Gangbild, das ganz und gar nicht preußisch aussieht, eher wie ein supercooler Rapper. Naja, sagen wir mal „sehr lässig“. Aber tatsächlich sorgt dieser weiche, federnde Gang für weniger ungünstige Belastung in unserem Muskel-Sehnen-Band-Knorpel-System.
Sehr gut nachvollziehbar lehren dies meine Kollegen mit dem methodischen Schwerpunkt der Spiraldynamik. Von einem solchen Instructor wurde mir anschaulich das physiologische Gangbild erläutert, abgesehen davon, was dies für unsere Füße bedeutet, wenn ich ein Leben lang gesunde Füße behalten möchte… 

Also hole ich mir jetzt Barfußschuhe, wenn ich unter Knie- oder Hüftarthrose leide? 

Ein klares JEIN!

Einerseits wäre es gut, sich den lässigen, weichen Gang anzugewöhnen. 
Andererseits besteht bereits eine Arthrose, die unter Umständen sogar Beschwerden auslöst, wenn ich mich stark belaste. Ein Grund kann die Reizbarkeit der abgeriebenen Gelenkfläche sein, die kleinste Entzündungsprozesse aufflammen lässt, was sich unter Umständen als diffuser Schmerz äußert (aber diese Prozesse haben einen eigenen Beitrag nötig).
Wenn mein Gelenkknorpel also nicht mehr puffern kann, weil er schlichtweg nicht mehr existiert oder stark geschädigt ist, dann macht es doch Sinn, wenn es einen Ersatz dafür geben würde, den ich auch nutze!  Und dieser Ersatz können Schuhe mit einer sehr weichen Sohle sein. Also das Gegenteil von dem, was einen Barfußschuh ausmacht.

Und was soll ich jetzt machen? 

Wenn Du den Barfußgang erlernen möchtest, dann fang damit in Sequenzen an. Es braucht viele Monate, bis sich unser Gewebe an die neuen Belastungen und Abläufe gewöhnt hat. Von heute auf morgen umzusteigen, kann Überlastungen erzeugen. Ist ja eigentlich auch logisch. Also: anfangs nur mit einer oder wenigen Stunden anfangen und dann gemächlich steigern. Und bitte nur gehen, nicht joggen! 
Wenn Du nun ein arthrotisches Gelenk hast, dann ist es umso wichtiger, nur kurze Zeitfenster barfußmäßig zu gehen und dann ebenso langsam die Dauer des Gehens mit diesem Schuh zu steigern. 
Oder Du vergisst die Sache mit der dünnen Sohle und nimmst einen Schuh, der Dir Zehenfreiheit lässt, keine Sprengung hat, aber eine weiche Sohle, die die Funktion des Knorpels ersetzt. Die sind selten, gibt es aber. Nur leider nicht im Geschäft um die Ecke. Jedenfalls nicht bei mir…

Sprengung? Was ist das jetzt bitteschön?
Das ist der mehr oder weniger ausgeprägte Keil in der Sohle, der den Absatz erhöht und den Fuß mit leichtem Gefälle nach vorne stehen lässt. Sowas gibt es auch nicht, wenn wir barfuß auf der Wiese laufen. In unserer Schuhwelt aber total normal. Auch in (fast) jedem Sportschuh. Hat Auswirkungen auf die Wadenmuskulatur und somit auf die Gesamtstatik. 

Fazit: 
Die Aussage, dass Barfußschuhe total toll sind, gilt also nicht grundsätzlich. Wie immer, kommt „es“ darauf an. Deshalb ist nachfragen so wichtig, und zwar nicht unbedingt bei der Person, die Dir diese Schuhe verkauft, sondern bei einer neutralen Person, die etwas über die Vor- und Nachteile und Besonderheiten erklären kann. 

Fange also gerne an, auch mal lässiger zu laufen, auch wenn Du Dir albern vorkommst und bringe Elastizität in Deinen Körper. 
Wir können etwas Spaß in der heutigen Zeit als Gegenpol gut gebrauchen. 

Bis zum nächsten Newsletter wünsche ich Dir eine gute Zeit und Augen auf beim Schuhkauf. Ich hätte da ja einige Tipps, aber ich möchte hier nicht Werbung betreiben. Ihr könnt mich in der Praxis gerne ansprechen oder mir eine Mail schreiben im Falle einer Frage. 

Bleib´ geschmeidig, 
Dein Alex

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Oda

    Lieber Alexander,
    vielen Dank für diesen Beitrag. Gerade solche Schuhe (ohne Sprengung, weiche Sohle) suche ich schon lange und kann sie nicht finden. Können Sie mir dazu ein paar Tipps geben?
    Herzlichen Dank im voraus
    Oda

    1. Alexander

      Hallo Oda, die meisten Barfußschule haben ja eine eher dünne Sohle und damit wenig Dämpfung. Ich habe die Firma Altra gefunden. Sie bietet sprengungsfreie Laufschuhe mit breitem Vorfuß für unterschiedliche Anforderungen an, unter anderem ein Modell mit ausgeprägter Dämpfung. Lone Peak heßt es, soweit ich mich erinnere. Ich bekomme keine Provision. Trage den Schuh selbst. Viele Grüße, Alexander

  2. Linde Saß

    Ich habe zwei Kniearthrosen. Ein Knie macht starke Schmerzen nach einer nicht gelungnenen Operation. Das zweite Knie macht ebenfall starke Schmerzen, aber trage ich meine Wipp- Fellstiefel ( Abrollsohle ,Abrollschuhe) bin ich meist schmerzfrei. Solche Winterschuhe gibt es kaum noch, d. h. vorwiegend nur für wärmere Tage.

    1. Alexander

      Guten Tag Frau Saß, Sofern ein Schuh einen Bewegungsablauf unterstützt, der weniger Schmerz auslöst, ist die Antwort klar. Nutzen! Unser Gehirn sehnt sich nach Sicherheit und jeder Bewegungsablauf, der diese Sehnsucht bedient, ist willkommen. Gleichzeitig verringert sich die Erwartung eintretender Schmerzen durch die „bekannten“ Bewegungsabläufe, die mit Schmerzen verknüpft und somit als bedrohlich eingestuft werden. In diesem Sinne: Viel Freude mit Ihren Schuhen.

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