Das vegetative Nervensystem oder auch autonomes Nervensystem genannt ist für mich die Steuerungszentrale, die im Hintergrund unseren Körper in der Spur hält.
Es besteht aus zwei Systemen, die im Team arbeiten sollten und uns in verschiedene Aktivitätszustände versetzen. Es ist in unserer Entstehungsgeschichte älter als unser „vernünftiges“ Großhirn und agiert reflexartig.
Zum einen gibt es den Sympathikus oder auch sympathischer Grenzstrang, ein Nervengeflecht, das uns früher wie heute in aktive Zustände wie Kampf oder Flucht versetzt.
Das Gegenüber ist der Parasympathikus, unter anderem mit seinem Nervus Vagus, der uns in entspannende und regenerative Zustände versetzen kann.
Das Dilemma zwischen Evolution und moderner Lebensweise
In unserer Leistungsgesellschaft mit multimedial ständiger Erreichbarkeit ist es leider so, dass wir den aktiven Zustand übermäßig aufrechterhalten und so die aktivierenden Stresshormone sehr lange im Blut verharren und nur schwer noch abgebaut werden können.
Vor vielen tausend Jahren führten wir einen Lebensstil, der aus langen ruhigen Phasen bestand und nur im Jagd- oder Fluchtkontext in den Stress-Modus schaltete. Also ziemlich konträr zu heute. Heute können wir kaum noch abschalten.
Und dieses Phänomen zieht körperliche Reaktionen nach sich, die wir heute als „somatische Symptome“ bezeichnen: Kopfschmerz, hoher Puls, Blutdruck, Hautreaktionen, Migräne, Depressionen bis hin zum Burnout, Muskelverspannungen, Schlaflosigkeit, u.v.m.
Gelingt es uns, aus dem „Hamsterrad“ zu entsteigen und wieder mehr Ruhephasen ohne permanente Reize am Tag zu etablieren, desto eher kann sich unser Organismus regenerieren.
Hier besteht auch ein Schnittpunkt zum Immunsystem, denn ein dauerhaft erregter Organismus strapaziert unseren Energiestoffwechsel und somit unser Immunsystem und macht uns zusätzlich anfälliger für die Entwicklung chronischer Erkrankungen.
In meinen Behandlungen frage ich deshalb nach subjektivem Stressempfinden, teste den Erregungszustand sowie Funktion des vegetativen Nervensystems und behandle es. Weshalb? Das Ziel vegetativer Signale sind u.a. unsere Organe und das Blutgefäßsystem. Kommen diese Signale nicht am Zielorgan an, wird dessen optimale Funktion nicht erreicht werden und es benötigt Unterstützung, die es sich an anderer Stelle des Körpers holt und so Nachbarorgane oder Muskulatur dauerhaft belastet werden.
Das können Sie selbst tun:
Unterstützende Maßnahmen, die leicht zu Hause und prinzipiell an jedem Ort durchgeführt werden können, sind Atemübungen. Wenn die Dauer der Ausatmung in etwa doppelt so lange gehalten werden kann wie die Dauer der Einatmung, fördern wir die Aktivität des N. Vagus. Wir kommen zur Ruhe, Stresshormone werden abgebaut, der Puls sinkt, um nur einige Reaktionen zu nennen.
Eine weitere, leicht umzusetzende Übung ist die Grundübung des Physiotherapeuten Stanley Rosenberg zum Nervus Vagus:
In Rückenlage sind die Beine angestellt, die Finger ineinander verschränkt und platziert unter dem Schädel. Der Kopf bewegt sich nicht, jedoch blicken nur beide Augen für ca. 30 Sekunden nach rechts, dann für etwa die gleiche Zeit nach links und dies dann noch einmal wiederholen. Es stellen sich Reaktionen wie Gähnen, tiefes Schnaufen ein als Reaktion, dass der Körper in das parasympathische Funktionieren (also in die Entspannung) wechselt. Gerne ausprobieren vor dem Schlafengehen oder in/nach stressigen Situationen.